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Von: Joachim Wille
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Der Australier Tony Rinaudo revolutioniert die Wiederaufforstung in Afrika. Er setzt dabei auf vorhandene Baumstümpfe und Wurzeln, unterirdische Bäume – und er ist sich sicher: Die Trendwende im globalen Naturschutz ist noch zu schaffen
Herr Rinaudo, man nennt Sie den „Waldmacher“. Sind Sie stolz darauf?
Ja, ich finde, das ist ein schöner Titel. Er wurde von dem Journalisten Johannes Dieterich erfunden, mit dem ich das Vergnügen hatte, durch Somalia, Äthiopien und den Niger zu reisen. Ich habe auch noch andere „Titel“, wie zum Beispiel „Waldflüsterer“, was lustig ist. Aber „Waldmacher“ ist leicht und doch ernst.
Wie haben Sie Ihre Methode entdeckt?
Eigentlich ist es keine neue Erfindung. Schon in der alten Forstwirtschaft in Deutschland war das „Auf den Stock setzen“ eine gängige Baumpflegepraktik. Hier und auf anderen Kontinenten wird so etwas seit Jahrhunderten gemacht. Ich kam darauf während einer Baumpflanzaktion in der Republik Niger. Ich war schon bereit aufzugeben und nach Hause zu gehen, nach zweieinhalb Jahren wachsender Frustration. Ich hatte versagt. Das „Waldmachen“ mit dieser Methode funktionierte nicht richtig, und ich schaffte es nicht, die Unterstützung der Bevölkerung dafür zu bekommen. An einem meiner Tiefpunkte fuhr ich mit einer Anhängerladung Setzlingen in die Dörfer. Die Hoffnungslosigkeit des Ganzen lastete schwer auf mir. Ich hielt an, um den Luftdruck in den Reifen zu verringern, damit das Fahrzeug leichter über losen Sand fahren konnte. Während ich anhielt, ließ ich meinen Blick über die karge Landschaft schweifen. Norden, Süden, Osten, Westen: Soweit ich sehen konnte, gab es windgepeitschte Ebenen, die fast völlig baumlos waren. Mir wurde klar. Mit den Methoden, die ich anwandte, würde ich hier nichts ausrichten können, selbst wenn ich ein Multi-Millionen-Dollar-Budget, viele Jahre für die Arbeit und Hunderte von Mitarbeitern hätte. Es war hoffnungslos.
Trotzdem blieben Sie .
Ich hatte das Gefühl, dass ich für den Niger bestimmt war. Der Glaube hat schon immer eine große Rolle bei meinen Entscheidungen gespielt, und an diesem Tiefpunkt bat ich Gott erneut um Hilfe. Kurz gesagt: Ich bat Gott, uns zu vergeben, dass wir das Geschenk seiner wunderschönen Schöpfung zerstören. Ein Großteil des Leids und des Hungers, den die Menschen erleben, hängt ja direkt mit der Umweltzerstörung zusammen. Ich bat Gott, mir die Augen zu öffnen und mir zu zeigen, was ich tun soll. An diesem Tag fiel mir einer der üblichen kleinen Büsche auf, die auf dem Feld wuchsen. Ich hatte diese Büsche schon oft gesehen, aber nie ihre Bedeutung registriert. Ich ging hin, um ihn mir genauer anzusehen. Als ich die Blätter sah, erkannte ich sofort, dass es sich nicht um einen Busch handelte, sondern um einen Baum, der gefällt worden war und wieder aus dem Stumpf spross. In diesem Moment änderte sich alles. Ich wusste irgendwie, dass dies die Lösung war, nach der ich gesucht hatte – und sie lag mir die ganze Zeit zu Füßen. Es gab Millionen ähnlicher Büsche, die anzeigten, dass ein riesiger unterirdischer Wald direkt unter der Oberfläche dieser scheinbar kargen Landschaft existierte.
Aber ein Wald wurde nicht daraus…
Richtig. Die sprießenden Stämme wuchsen jedes Jahr bis zu einem Meter in die Höhe, aber dann kappten die Bauern die Triebe. Sie verbrannten die Stämme und Zweige, um mit der Asche den Boden zu düngen, oder sie nahmen sie als Brennholz mit nach Hause. Solange dieses regelmäßige Abholzen und Verbrennen anhielt, wuchsen die „Büsche“ nie zu richtigen Bäumen heran, und der Wald blieb unter der Erde verborgen. Wenn ein Baum gefällt wird, bleibt bei den meisten Arten ein großer Teil der Wurzelmasse am Leben, und der Baum hat die Fähigkeit, aus dem Stumpf schnell wieder zu wachsen.
Wie konnten Sie die Menschen von dem Verbrennen der Bäume abbringen?
Mit der Entdeckung dieses unterirdischen Waldes wurde alles anders. Bei der Aufforstung ging es nun nicht mehr um genügend Budget, Personal oder Zeit. Es ging nicht mehr um den Kampf gegen die Sahara-Wüste, gegen Ziegen oder Dürre. Es ging jetzt darum, die Menschen davon zu überzeugen, dass es in ihrem besten Interesse wäre, zumindest einige dieser Büsche wieder zu Bäumen werden zu lassen. Ich erkannte, dass, wenn es Menschen waren, die den Wald zu einer kargen Landschaft reduziert hatten, es Menschen brauchen würde, um ihn wiederherzustellen.
Warum sind die Bäume so wichtig?
So einfach wie möglich ausgedrückt: Bäume sind Leben. Ihr größter Wert ist wahrscheinlich ihre wohltuende Wirkung auf die Gesundheit, das Klima, den Boden, den Niederschlag und die Gewässer. Bäume verschönern das Land, spenden Schatten für Mensch und Vieh, schützen die Feldfrüchte vor Wind und Sturm und halten das Wasser im Boden auf einem Niveau, auf dem es vom Menschen genutzt werden kann. Die Vernachlässigung der Forstwirtschaft in der Vergangenheit hat zu den Wüsten geführt, die es heute gibt, denn wenn die Baumbedeckung von der Erde verschwindet, sinkt der Wasserspiegel. Bäume sind eine Grundlage der Zivilisation.
Unser heutiges Verhalten ihnen gegenüber kann über das Wohl oder Wehe von morgen entscheiden. Ihre Anwesenheit oder Abwesenheit kann für die Nachwelt über Gesundheit oder Krankheit, Nahrung oder Hunger, sauberes oder verdrecktes Wasser, gute oder schlechte Ernten, fruchtbaren Regen oder Überschwemmungen, hilfreiche Vögel oder schädliche Insekten, Wohlstand oder Armut, reine Luft oder verdorbene Luft, fruchtbares oder wüstes Land entscheiden. Wir haben die Wahl. Andernfalls tauchen die uralten Gespenster heimlich auf, eines nach dem anderen – Überschwemmung, Dürre, Feuer, Hungersnot.
Zur Person
Tony Rinaudo , 64, lässt verdorrte Gebiete in Afrika ergrünen – und inzwischen auch weltweit. Der gebürtige Australier war von 1981 bis 1999 als Landwirt und Missionar in der Republik Niger tätig und dabei unter anderem auch für ländliche Entwicklung und große Hilfsprogramme verantwortlich. Dort entdeckte er auch die regenerative Methode zur Wiederaufforstungsmethode FMNR (Farmer Managed Natural Regeneration). Gemeinsam konnten er und die Landwirte vor Ort bereits mehr als sechs Millionen Hektar Land bewalden.
Die Hilfsorganisation „World Vision“, zu der Rinaudo 1999 stieß, unterstützt ihn dabei, dass seine Methode auch außerhalb Afrikas Anwendung findet. Als „Senior Climate Action Advisor“ betreut er international Forst- und Agroforst-Initiativen.
Für seine Arbeit ist Rinaudo mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Alternativen Nobelpreis (The Right Livelihood Award), dem „World Future Council Agroecology Award“ und einem hohen Orden der Regierung von Niger.
Rinaudos Methode spielt auch eine wichtige Rolle in der „UN-Dekade für die Wiederherstellung von Ökosystemen“, die an diesem Samstag offiziell beginnt. Deren Ziel ist die Wiederbelebung degradierter oder bereits zerstörter Ökosysteme, als Beitrag zu den Zielen der drei UN-Konventionen zu Klimawandel, Biodiversität und Wüstenbekämpfung sowie zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG) der Vereinten Nationen.
Wichtige Leistungen des Ökosystems , wie das Speichern von Kohlenstoff und die Regulierung des Wasserhaushalts, sollen so erhalten und die Widerstandsfähigkeit von dort lebenden Menschen gegenüber dem Klimawandel gestärkt werden. Mittel dazu sind unter anderem die Sicherung einer natürlichen Regeneration, Aufforstung und die Förderung angepasster Agroforst-Systeme. jw
Warum, glauben Sie, hat vor Ihnen noch niemand bemerkt, dass unter vielen degradierten Böden uralte Wälder schlummern, die wiederbelebt werden können?
Es wurde schon früher bemerkt, und auch heute noch, wenn ich in abgelegene Teile von Osttimor, Myanmar oder Malawi reise, sehe ich: Einfache, oft ungebildete Bauern arbeiten mit dieser Methode.
Aber es wurde nicht im Niger entdeckt, ausgerechnet in einer Region, in der intensiv in den „Kampf gegen die Wüste“ investiert wurde. Warum?
Es gibt eine einfache Regel: Die Menschen glauben nicht, was sie sehen, sie sehen, was sie glauben. Und so war es auch bei mir. Ich sah dort eine baumlose Landschaft. Meine Lebens- und Lernerfahrungen hatten mich zu der Überzeugung gebracht, dass die einzige Möglichkeit, abgeholzte Gebiete wieder aufzuforsten, das Pflanzen von Bäumen ist. Und obwohl diese Methode ein Fehlschlag war, versuchte ich es wieder und wieder, nur härter. Aber es war immer noch ein Fehlschlag. Ich sah nicht, was bereits überall um mich herum war. Ich war besessen von der Frage, wie man genug Bäume produziert, pflanzt und schützt, um die Wüste zurückzudrängen. Und ich würde sagen, das war zu einem sehr großen Teil auch bei allen anderen so. Viele glauben, dass die Lösung vollständig von uns abhängt – unserer Intelligenz, unseren Finanzen, unserer Technologie und unserer Macht. Bei dieser Denkweise wird übersehen: Die Natur ist durchaus in der Lage, sich selbst zu heilen, wenn man ihr eine Chance gibt. Im Falle der Land-Restaurierung kommt es viel mehr darauf an, dass man aufhört, bestimmte Dinge zu tun, wie das Abbrennen, Überweiden, vollständige Pflügen aller Agrarflächen, regelmäßige Entfernen aller holzigen Biomasse, als dass man etwas tut, wie Bäume zu pflanzen.
Ihre Methode ist viel billiger und oft erfolgreicher als die klassische Wiederaufforstung mit Setzlingen aus Baumschulen und entsprechender Pflege. Kann sie sich durchsetzen?
Das Momentum wächst täglich. Unsere erste internationale Konferenz zu unserer „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR) fand 2012 in Nairobi statt. Geber, Regierungen, NGOs und Bauernverbände hatten zuvor noch nie etwas von FMNR gehört. Inzwischen ist die Akzeptanz in immer mehr Ländern da, etwa in Ghana, Mali, Burkina Faso, Südsudan, Äthiopien, Somalia, Kenia, Osttimor und Indien. Die Hilfsorganisation World Vision hat den Ansatz bereits in 26 Ländern eingeführt und bietet immer wieder Schulungen für alle Interessierten an – NGOs, Regierungen, Gemeinden oder Glaubensgemeinschaften. Aber auch andere Organisationen fördern die Methode aktiv, zum Beispiel „The Global Evergreening Alliance“ und das „World Agroforestry Centre“. In manchen Regionen dauert der Prozess länger, aber die Saat wurde oder wird gesät, und es ist nur eine Frage der Zeit.
Sie hoffen, dass Ihre Methode bis 2030 in rund 100 Ländern der Welt angewendet wird. Gibt es denn überall „schlafende“ Wälder?
Nein, nicht überall, aber an erstaunlich vielen Orten. Meine Faustregel ist: Wenn ein Wald in der Vergangenheit vorhanden war, selbst in der fernen Vergangenheit, ist es möglich, ihn mit unserer Methode oder einer Kombination von ihr und anderen Methoden wiederherzustellen. Man kann das überall dort umsetzen, wo es Wurzeln und Stümpfe mit der Fähigkeit zum Wiederaustrieb oder Baumsamen im Boden gibt. Die Regionen, in denen das möglich ist, sind sehr vielfältig – es geht von hyperariden bis zu tropischen, von Küsten- bis zu alpinen Gebieten. In der Praxis hat sich FMNR bisher am stärksten in ariden und semiariden Gebieten durchgesetzt. Hier sehen die Landwirte schnell große Vorteile – bei geringem Arbeits- und Geldaufwand. Außerdem haben sie nur wenige andere Möglichkeiten. Aufgrund der Wasserknappheit können sie dort nicht immer hochwertige Holz- oder Obstbäume anpflanzen.
Wie kann Ihre Methode auch unter anderen Bedingungen – ohne Wurzelwerk unter der Oberfläche – angewendet werden?
Natürlich beschränke ich mich nicht komplett auf FMNR. In Fällen, in denen es wirklich keine Wurzeln oder Samen im Boden gibt, kann man direkt Samen in das Land säen und dann das Wachstum der Bäume gemäß unseren Richtlinien absichern. Aber wenn es in der jeweiligen Situation geeignet ist, kann ich auch Bäume pflanzen. Indem ich Bäume strategisch in das Landschaftsbild einfüge, können sie wiederum Vögel und Tiere anziehen, die dann auf natürliche Weise Samen bringen. Der Schlüssel liegt aber in der Verhaltensänderung der Menschen. Wenn Sie nicht die Faktoren angehen, die den Waldverlust überhaupt erst verursacht haben, und die Faktoren, die das natürliche Nachwachsen von Bäumen verhindern, werden Sie keinen Erfolg haben. Aber wenn sich eine Gemeinschaft darauf einigt, Brände zu verhindern, die Beweidung durch Vieh anders zu handhaben und zu regeln, wann und wie viel holzige Biomasse geerntet werden darf, wird es funktionieren.
Derzeit gehen weltweit jedes Jahr mehr als 25 Millionen Hektar Wald verloren, hauptsächlich durch Abholzung und Brandrodung. Sehen Sie denn eine Chance, dies zu stoppen?
Das ist sehr deprimierend – und völlig unnötig. Sind wir Menschen als Spezies dazu verdammt, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen? Ich selbst hätte meine Krise im Niger nicht überlebt, wenn ich nicht Optimist wäre. Die Situation sah unmöglich aus. Alles, was ich versuchte, scheiterte. Die Leute machten sich über mich lustig und nannten mich den verrückten weißen Farmer. Aber ich hielt durch und hatte durch die Gnade Gottes schließlich einen Durchbruch, der alles veränderte. Also muss ich antworten: Ja, natürlich haben wir jede Chance, diesen Wahnsinn zu stoppen. Wenn unter den unmöglichen Bedingungen im Niger – ärmstes Land der Welt, raue Bedingungen am Rande der Sahara, extreme Armut, sture Mentalität, wenig Unterstützung durch die Regierung und minimale Unterstützung durch NGOs – eine Umkehr der Abholzung möglich war, wie sieht es dann anderswo aus? Nichts ist unmöglich.
Das klingt äußerst optimistisch.
Ich selbst wurde als Junge von der Arbeit des britischen Forstwissenschaftlers Richard St. Barbe Baker inspiriert. Er war ein internationaler Kämpfer für die Wälder und für eine nachhaltige Landwirtschaft. Mit meiner eigenen Autobiographie, die jetzt erschienen ist, hoffe ich, die nächste Generation zu inspirieren. Der Regisseur Volker Schlöndorff erstellt einen großen Dokumentarfilm für ein internationales Publikum über FMNR, der noch in diesem Jahr herauskommen soll. Die Möglichkeit, so Millionen von Menschen zu erreichen, ist einfach enorm. Wir befinden uns in der UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen, das Davoser Weltwirtschaftsforum hat das Ein-Billionen-Baum-Programm initiiert, und es gibt die internationale Ansage, bis 2030 rund 350 Millionen Hektar degradiertes Land wiederherzustellen – und noch viele weitere Ansätze. Ja, wir haben eine große Chance, diesen Wahnsinn zu stoppen. Wir müssen es einfach tun.
Ihr Resümee, bitte: Ist eine globale Trendwende im Naturschutz noch drin?
Ja, natürlich. Victor Hugo sagte: „Es gibt nichts Mächtigeres als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Die Zeit für eine Wende ist gekommen, und ich sehe so viel Entschlossenheit in der jungen Generation, in Greta Thunberg und ihren Anhängern. Es gibt ein schönes Hausa-Sprichwort: „yarra, manyan gobe.“ Die Kinder von heute sind die Mächtigen von morgen. Die stimmgewaltigen Jugendlichen von heute werden an der Spitze von Unternehmen stehen, Regierungen führen und Kaufentscheidungen treffen – es ist noch nicht zu spät, die Dinge zu ändern. Aber auch wir Älteren dürfen uns nicht zurücklehnen. (Interview: Joachim Wille)