von Julia Großmann-Krieger und Peter Carstens
Der Australier Tony Rinaudo lässt mit einfachsten Mitteln verdorrte Landschaften in Afrika ergrünen. Kürzlich erhielt er dafür den Alternativen Nobelpreis. Gemeinsam mit der Hilfsorganisation World Vision arbeitet er daran, dass seine Methode auch außerhalb Afrikas Anwendung findet
GEO.de: Tony Rinaudo, Sie sind kürzlich mit einem der bedeutendsten Preise geehrt worden, dem Alternativen Nobelpreis. Was bedeutet Ihnen das?
Tony Rinaudo: Der Preis bedeutet mir sehr viel. Ich habe ihn stellvertretend für alle Menschen angenommen, die über die Jahre dazu beigetragen haben, dass dürre Landstriche wieder Früchte tragen. Viele NGOs und Regierungen denken, dass Wiederaufforstungen sehr schwer, sehr teuer und sehr technisch sein müssen. Aber das Überraschende ist, dass es sehr einfach ist. Man muss nicht Millionen von Dollar ausgeben. Man braucht keine rocket science, man muss nur mit der Natur arbeiten. Der Klimawandel und die Entwaldung schreiten voran, und es ist mir sehr wichtig, die Botschaft zu verbreiten, dass großflächige Wiederaufforstung schnell geht und auch noch sehr wenig kostet.
Wie das?
Wir nennen es FMNR – Farmer Managed Natural Regeneration: eine Methode zur Renaturierung verödeter Landschaften. Hierfür werden unter der Erde verborgene Wurzeln ehemals gerodeter Bäume oder bereits vorhandene Büsche genutzt, um neuen Bewuchs zu fördern. Sie werden geschützt, gepflegt und so beschnitten, dass sie wieder in die Höhe wachsen können.
Was gewinnt man dadurch?
Rund 40 Bäume pro Hektar schützen die Feldfrüchte vor Wind und Sonne und verbessern die Bodenfruchtbarkeit. Denn viele Baumarten bilden im Boden Stickstoff, und alle verstreuen Blätter, also organisches Material, das den Boden fruchtbarer macht. Es gibt eine erhöhte mikrobielle Aktivität rund um die Wurzeln. Jedes Leben in einer kargen Landschaft ist ein Magnet für anderes Leben. Die Vögel kommen und hinterlassen organisches Material. Durch die Verschattung sinkt die Luft- und die Bodentemperatur. Das ist für das Wachstum von Feldfrüchten sehr wichtig, denn mit jedem Grad oberhalb von 35 Grad Celsius nimmt der Ernteertrag um zehn Prozent ab. Fünf Grad machen also einen Unterschied von 50 Prozent einer Ernte, die ohnehin schon sehr gering ist. Für Menschen, die kein Geld auf der Bank und keine Versicherung haben, sind diese Bäume das Bankkonto und ihre Lebensversicherung.
Wie haben Sie Ihre Methode entdeckt?
Die Methode ist nicht wirklich neu. Sie wurde nur kaum mehr angewendet. In den 70er Jahren, als ich meinen ersten Job in Niger antrat, war diese Technik vollkommen vergessen. Eine schreckliche Dürre plagte die Sahel-Zone, Menschen verhungerten und hatten keine Perspektiven. Unsere Aufgabe war es, irgendwie die Ausdehnung der Sahara Richtung Süden zu stoppen. Die Lösung war damals nach Ansicht der Regierung, der Weltbank und USAid, dass man Bäume in einer Baumschule zieht und pflanzt. Dieser Lösungsansatz war so dominant, dass man gar nicht auf die Idee kam, ihn zu hinterfragen. 160 Millionen Dollar wurden in Westafrika über einen Zeitraum von sieben Jahre in drei oder vier Ländern für diese Form der Wiederaufforstung ausgegeben. Das Resultat waren 20.000 Hektar Plantagen in einem schlechten Zustand. Auch wir haben zweieinhalb Jahre lang Bäume gepflanzt. Aber das war ein schrecklicher Misserfolg. Ich war frustriert, mir wurde klar, dass ich Geld und Zeit verschwendete. Ich war kurz davor, aufzugeben.
Bis Sie den „Wald im Untergrund“ entdeckten ...
An einem Tag, an dem mir alles sinnlos vorkam, fielen mir die vielen kleinen Büsche in der Landschaft auf, über die wir nie viel nachgedacht hatten. Sie waren nie höher als einen Meter, denn immer zum Beginn der Regenzeit schnitten die Farmer sie ab und nutzen sie als Brennmaterial. An diesem Tag sah ich genauer hin. Ich sah an der charakteristischen Blattform, dass es eigentlich Bäume waren – Bäume, die zurückgeschnitten worden waren. Sie sprossen aus altem Wurzelwerk, das noch im Boden versteckt war. In diesem Moment veränderte sich alles. Denn von diesen Büschen gab es Millionen und Abermillionen. Ich brauchte keinen gentechnisch veränderten Wunderbaum, der Dürren überstand, ich brauchte keine Millionen von Dollar – sondern nur einen Bewusstseins- und Einstellungswandel. Wenn dies ursprünglich ein Wald war, dann könnten die Leute ihn auch durch eine Verhaltensänderung wieder erstehen lassen.
Wie haben Sie angefangen?
Wir arbeiteten mit zehn Dörfern und je einem freiwilligen Farmer zusammen, um die Methode auf einem kleinen Stück Land zu erproben. Das war 1983. Die Bäume wuchsen sehr gut, schon im ersten Jahr. Und die Ernteerträge haben sich tatsächlich verdoppelt. Später zeigte sich, dass die Bauern mit Bäumen auch in schlechten Erntejahren besser dran sind. Sie konnten ihre Tiere mit essbaren Blättern und Früchten versorgen, während jene, die ohne FMNR arbeiteten, ihre Herde verloren und damit ihre Lebensgrundlage.
Ein Erfolg von Anfang an?
Es gab auch Rückschläge, Leute kamen und fällten die Bäume, weil es ihnen nicht richtig erschien, etwas neu und anders zu machen. Andere brauchten kurzfristig das Holz oder überließen ihren Ziegen die Bäume. Die Freiwilligen wurden Dorftrottel genannt, nur weil sie mir zuhörten. Aber mit dem Erfolg der Methode wurden sie zu gefragten Beratern, die inzwischen ohne meine Hilfe agieren und ihr Wissen in andere Dörfer und Landesteile tragen.
Wie ist der Stand heute?
2004 gab es in Niger fünf Millionen Hektar mit einer durchschnittlichen Baumdichte von 40 Bäumen pro Hektar. Also rund 200 Millionen Bäume, die vorher, in den frühen 1980er Jahren, nicht da waren. Jetzt sind es schon über sechs Millionen, das hat eine neue Auswertung ergeben. In sechs oder sieben Ländern Westafrikas gibt es jetzt rund 20 Millionen Hektar mit Baumbestand. Das Bild in den Medien ist immer noch, dass die Wüste sich in Richtung Süden ausbreitet. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Welche Perspektive sehen Sie für Ihre Methode?
Mit dem Voranschreiten des Klimawandels wird sich zeigen: Die einzigen Farmer, die irgendetwas werden anbauen können, werden die sein, die eine bestimmte Anzahl von Bäumen auf ihrem Land haben. Das gilt besonders für Entwicklungsländer, in denen keine modernen Züchtungen angebaut werden. Westliche Farmer greifen auf Chemikalien, Dünger und Bewässerung sowie mechanische Bodenbearbeitung zurück. Das gibt es in der Sahel-Zone nicht. Und die Böden sind extrem unfruchtbar. Ich habe mir fest vorgenommen, dass im Jahr 2030 diese Methode in 100 Ländern angewandt wird, in denen sich die Hilfsorganisation World Vision weltweit engagiert. Wir arbeiten gemeinsam daran dieses Ziel zu erreichen und FMNR auch jenseits der Sahel-Zone zu implementieren. Weltweit gibt es zwei Milliarden Hektar von degradiertem Land. Vielleicht war nicht alles davon einmal Wald, aber mit einer veränderten Einstellung und Nutzung können wir dieses Land wieder fruchtbar machen. Etwa, indem wir den Anteil der Biomasse im Boden erhöhen, nicht jeden Quadratzentimeter pflügen und die Beweidung einschränken.
Glauben Sie, dass wir den Verlust der Biodiversität und den Klimawandel noch stoppen können?
Es ist eine Frage des guten Willens. Aber ich setze nicht viel Hoffnung in Politiker. Ich glaube, sie fürchten, dass, wenn sie entschlossen handeln, Jobs verlorengehen. Und dass sie ihr Amt verlieren. Dabei können wir mit der FMNR-Methode allein in Niger – ohne Dünger und ohne staatliche Zuschüsse – jedes Jahr 500.000 Tonnen Getreide zusätzlich produzieren, in einem der ärmsten Länder der Erde, nahe der Wüste. Entschlossenes Handeln und nachhaltige Vorteile für alle schließen sich nicht aus. Es frustriert mich, dass Politiker glauben, es gäbe nur das eine oder das andere.
Das klingt nicht sehr optimistisch ...
Wenn ein schüchterner Junge vom Land, wie ich, einen Prozess starten kann, der eine so große Wirkung entfaltet hat – was ist dann alles möglich? Gandhi sagte: „Sei der Wandel, den du dir wünscht!“ Und ich möchte ergänzen: „Wenn du etwas tun kannst: Tu es!“
Mehr über Tony Rinaudo und seine FNMR-Methode auf der Homepage von World Vision.
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