D. B. Cooper und das FBI: Der Luftpirat, der für immer verschwand (2024)

Vor 50 Jahren entführte ein Mann, der sich als Dan Cooper ausgab, in den USA ein Flugzeug. Er erpresste Geld und sprang mit einem Fallschirm aus der Maschine. Sein Schicksal bleibt eines der grossen Rätsel der Kriminalgeschichte.

Marc Tribelhorn

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Der Mann ist so adrett wie unscheinbar. Er sitzt allein in der letzten Reihe des Flugs 305 der Northwest Airlines, von Portland, Oregon, nach Seattle: 1,80 Meter gross, mittleres Alter, dunkler Anzug, weisses Hemd, schmale Krawatte. Die braunen Augen verdeckt er bald mit einer Sonnenbrille. Er ähnelt dem Sänger und Schauspieler Bing Crosby. Den schwarzen Regenmantel behält er an, seine Aktentasche stellt er auf den Nebensitz. Er ordert einen Bourbon und ein Seven-Up, raucht eine Raleigh. Es ist der 24.November 1971, der Tag vor Thanksgiving. Und ein Tag, der in die Kriminalgeschichte der USA eingehen wird.

Nachdem die Boeing 727 um 16 Uhr 35 abgehoben hat, steckt der Mann, der als Dan Cooper sein Ticket gekauft hatte, einer Flugbegleiterin einen gefalteten Zettel zu. Die Frau denkt, es handle sich um eine billige Anmache, und macht keine Anstalten, die Nachricht zu lesen. Der Mann bleibt hartnäckig: «Ich denke, Sie sollten einen Blick darauf werfen.» Also liest sie die handgeschriebene Nachricht.

«Miss, ich habe eine Bombe hier und möchte, dass Sie bei mir sitzen.»

Die Frau erstarrt: «Sie machen Witze, oder?» Er öffnet seine Aktentasche, rote Stangen, die wie Dynamit aussehen, kommen zum Vorschein, Drähte, eine grosse Batterie. «Nein, Miss.»

Absprung in die Wildnis

So nimmt ein waghalsiges Verbrechen seinen Lauf, das bis heute ein Mysterium bleibt – und eine Peinlichkeit für das FBI, die amerikanische Bundespolizei. Flugzeugentführungen sind damals ein verbreitetes Übel. Allein seit Beginn der Amtszeit von Präsident Richard Nixon 1969 ist es in den USA zu diversen Fällen gekommen, Zeitungen schreiben bereits von der Flugzeugkabine als neuer Kampfzone. Die Gründe sind einfach: Immer mehr Menschen fliegen, gleichzeitig sind Sicherheitsvorkehrungen weitgehend inexistent. Die Fluggesellschaften sträuben sich noch gegen Gepäckkontrollen und Metalldetektoren, um die Passagiere nicht zu verärgern. Nach dem Fall Dan Cooper wird sich das ändern.

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Der Mann mit der Bombe erklärt der Flugbegleiterin, was er bei der Ankunft in Seattle will: 200000 Dollar (heute rund 1,2 Millionen Dollar) in nicht durchgehend nummerierten 20-Dollar-Scheinen und vier Fallschirme. Zudem verlangt er, dass das Flugzeug frisch betankt und – ganz Gentleman-Ganove – die Crew mit Essen versorgt wird, denn die Flugzeugentführung soll weitergehen. Werden die Forderungen alle erfüllt, lässt er die 35 weiteren Passagiere und einen Teil des Kabinenpersonals gehen. Falls nicht: jagt er das Flugzeug in die Luft. «Ich habe keinen Groll auf Ihre Airline, Miss. Ich habe einfach einen Groll.»

Die Frau informiert den Piloten, dieser die Fluggesellschaft und diese wiederum die Polizei. Beim FBI geht die Alarmmeldung ein: «164 in progress», die Zahl steht für Flugzeugentführungen. Eilig wird das Geld bereitgestellt und jede Seriennummer fotografiert. Da die Gefahr besteht, dass der Entführer mit einer Geisel fliehen will, werden nur funktionstüchtige Fallschirme vorbereitet. Am Flughafen in Seattle positionieren sich Scharfschützen, die aber nicht eingreifen, als die entführte Maschine endlich landet. Die Airline erfüllt alle Forderungen; die Passagiere, die gar nicht gemerkt haben, in welcher Gefahr sie schwebten, können aussteigen.

Dann zwingt der Hijacker die Piloten, erneut abzuheben. Nach Mexiko soll es gehen, mit maximal 270 km/h, ausgefahrenem Fahrwerk, den Landeklappen auf 15 Grad und mit einer maximalen Flughöhe von rund 3000 Metern, so dass kein Kabinendruck erzeugt werden muss. Der Mann scheint sich in Aviatikfragen auszukennen. Vor allem weiss er, dass die Boeing 727 über eine Spezialvorrichtung verfügt: eine Gangway am Heck, die sich unabhängig vom co*ckpit entriegeln und ausklappen lässt. Die CIA nutzte diesen Flugzeugtyp für Missionen hinter den feindlichen Linien, um Waffen oder Spezialtruppen abzusetzen, etwa im Vietnamkrieg.

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Die ins co*ckpit befohlene Crew bekommt noch mit, dass sich der Luftpirat die rund zehn Kilogramm schwere Geldtasche an den Körper bindet und zwei Fallschirme anschnallt. Um 20 Uhr leuchtet das Warnsignal «Door open», es ruckelt. Beim Tankstopp in Reno zeigt sich schliesslich, dass der Mann irgendwo über dem zerklüfteten, dicht bewaldeten Südwesten des Gliedstaats Washington abgesprungen ist. Aus eisiger Höhe, bei stürmischem Wetter, in die tiefe Dunkelheit. Unbemerkt von den Piloten der beiden F-106-Kampfjets, die die gekaperte Maschine begleitet haben.

Ist der Mann genial oder schlicht ein Irrer? Der Fall «D.B. Cooper» (wie es wegen einer fehlerhaften Agenturmeldung fortan heisst) macht weltweit Schlagzeilen. Auch die NZZ berichtet über den «Fallschirmabsprung des Luftpiraten». Amerikanische Zeitungen schreiben derweil vom «perfekten Verbrechen». Walter Cronkite, der legendäre Moderator des TV-Senders CBS, kommentiert: «Als er das Flugzeug in Portland, Oregon, bestieg, war er nur ein Passagier. Heute lautet seine Beschreibung: ‹master criminal›.»

Ein Elitesoldat? Ein Comic-Fan?

Das FBI nimmt die Verbrecherjagd auf, die sich als «eine der längsten und am meisten erschöpfenden» seiner Geschichte erweisen wird, wie es Jahrzehnte später bilanzieren muss. Die Akten zum Fall «Norjak» (für Northwest Hijacking) füllen schnell ganze Regale. Im Flugzeug werden zunächst Spuren gesichert: vor allem Fingerabdrücke, die sich weder den übrigen Passagieren noch der Crew zuweisen lassen. Eindeutig dem Täter zuzuordnen sind indes nur einige Zigarettenstummel und die Krawatte, sonst hat er nichts zurückgelassen. Experten berechnen aus den Flugdaten das wahrscheinliche Absprungsgebiet. Es ist riesig. Und eine Wildnis.

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Tausende von Polizisten und Armeeangehörigen machen sich auf die Suche – aus der Luft und am Boden, wochenlang, erfolglos. Auch Schatzsucher durchkämmen die Wälder nach der Geldtasche, falls der Hijacker nicht überlebt haben sollte, was laut FBI sehr gut möglich ist. Ein Phantombild des Flüchtigen wird erstellt, der bald einen zweifelhaften Kultstatus geniesst, wie vor ihm Billy the Kid oder Bonnie und Clyde. Er sei ein charmanter Ganove der Lüfte, der ja «nur» eine Fluggesellschaft bestohlen habe und nun das mächtige FBI von J.Edgar Hoover narre. «D.B. Cooper, where did you go?», schmachtet eine Sängerin im Refrain. Für den FBI-Chefermittler Ralph Himmelsbach hingegen ist er nur «ein schäbiger, verdorbener Krimineller, der für Geld das Leben von über 40 Menschen gefährdete».

Handelt es sich bei dem tollkühnen Täter um einen ehemaligen Elitesoldaten? Um einen CIA-Agenten? Um einen Flugzeugingenieur? Um einen Kanadier? Schliesslich gibt es damals einen Comic-Helden namens Dan Cooper, der seine Abenteuer als Kampfpilot der kanadischen Luftwaffe besteht. Das FBI geht in den folgenden Jahrzehnten über tausend «ernsthaft Verdächtigen» nach. Die Ermittler werden mit Informationen zu möglichen Tätern überschwemmt. Hobby-Detektive rätseln mit. Der Durchbruch bleibt aus. Obwohl immer wieder brisante Theorien auftauchen, die auch in Zeitungen und Büchern verbreitet werden und ein begeistertes Publikum finden.

Nur vier Monate nach «Norjak» entführt zum Beispiel ein Vietnamveteran namens Richard McCoy in Denver eine Boeing 727, erpresst eine halbe Million Dollar und setzt sich ebenfalls mit dem Fallschirm über die Gangway ab. Er wird geschnappt und zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt. Er kann ausbrechen und wird auf der Flucht erschossen. McCoy hat gegenüber der Polizei nie zugegeben, Dan Cooper zu sein. Er hat es aber auch nie dementiert.

Im Jahr 2000 erklärt eine Witwe, ihr Ehemann, Duane Weber, habe ihr auf dem Sterbebett gestanden: «Ich bin Dan Cooper.» In einem Albtraum habe er auch einmal davon gesprochen, «Fingerabdrücke auf einer Gangway zu hinterlassen». Das FBI schliesst Weber, einen früheren Kriminellen und Fallschirmspringer, aber aus, weil seine DNA nicht zu den – erst viel später sichergestellten – Spuren auf der zurückgelassenen Krawatte passen (die Zigarettenstummel sind beim FBI nicht mehr auffindbar).

2011 berichtet eine Frau, ihr verstorbener Onkel, ein Veteran aus dem Koreakrieg namens Lynn Doyle Cooper, sei einen Tag nach der Flugzeugentführung vom 24.November 1971 verletzt nach Hause gekommen und habe von gelösten Geldproblemen erzählt. Zudem sei er ein grosser Fan der Comic-Figur Dan Cooper gewesen. Doch auch in diesem Fall gibt es keine Übereinstimmung der DNA.

Der legendäre Luftpirat bleibt ein Phantom. Bis heute gibt es von ihm nur eine gesicherte Spur seit Verlassen des Flugzeugs: 1980 findet ein Knabe am Ufer des Columbia River, rund 50 Kilometer nördlich des vermuteten Absprungs, drei Bündel verwitterte 20-Dollar-Scheine, insgesamt fast 6000 Dollar. Die Seriennummern stimmen mit der Beute Dan Coopers überein. Wie sie dort in den Sand kamen, ist auch nach aufwendigen naturwissenschaftlichen Verfahren unklar. 2016 stellt das FBI die Ermittlungen frustriert ein – nach 45 Jahren: «Wir kamen zu dem Entschluss, dass es an der Zeit sei, den Fall zu den Akten zu legen.»

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